Beine breit: Henry Rollins und James Ellroy zu Gast in Berlin
Womöglich gibt es nur eine Gemeinsamkeit zwischen James Ellroy und Henry Rollins: Wenn die beiden auf der Bühne stehen, machen sie die Beine breit. Und zwar ganz wörtlich: Der Schriftsteller wirkt, als würde er den nächsten Schlag abwehren wollen; der Spoken-Word-Performer, als würde er gleich mit Black Flag ein Lied anstimmen. Und doch passen sie zusammen – diese beiden Männer aus Los Angeles, die an zwei Abenden hintereinander in Berlin auftraten.
Ein kleiner Exkurs sei gestattet – Rollins schweift schließlich auch ständig ab, wenn er auf der Bühne steht. Vor Jahren also veranstaltete ich Ex-Dead-Kennedys-Sänger Jello Biafra im Statthaus Böcklerpark. Kurz danach trat Henry Rollins in der Passionskirche auf. „Rollins war viel besser“, meinte ein Freund anschließend zu mir. Ich widersprach: Rollins war unterhaltsamer, aber er erzählt zwischendurch auch mal Plattitüden. Biafra ist anstrengender, aber dafür politischer.
Später änderte sich mein Verhältnis zu Biafra ein wenig: Bei der nächsten Spoken-Word-Performance fiel mir ungut auf, wie wichtig dem Mann (einst durchaus ein Held für mich) Geld geworden war. Er bekam schon eine irre Gage und hatte kaum Ausgaben, reichte aber trotzdem einen Hut rum und bat um Spenden für seine juristischen Streit mit den Rest Kennedys. Ich stehe in der Geschichte voll und ganz auf Seiten Biafras, aber das ging doch zu weit.
Rollins habe ich mir seit jenem Abend in der Passionskirche nicht mehr angeschaut. Jetzt, im Astra, hatte ich mal wieder Lust darauf. Dabei zeigte sich wieder einmal: Ãœber Politik sollte der ehemalige Sänger von Black Flag nicht reden. Witze über Sarah Palin muss man heute nicht mehr reißen. Und seine Aktion, chinesischen Fremdenführern in Beijing zu sagen, China müsse raus aus Tibet, hat auch nicht viel gebracht – höchstens die Menschen beschämt. Chinesen glauben nämlich für gewöhnlich, dass Tibet Teil ihres Staates ist. Somit werden Tibeter, die dies (zurecht!) in Frage stellen, gleich zu Terroristen.
Viel besser ist er, wenn er von seinen Reisen und seinen dortigen Begegnungen erzählt – in Saudi-Arabien etwa, wo ihm eine Frau erklärt, was für sie die Schari’a bedeutet, in Sri Lanka, wo er einem Jungen die Stooges näher bringt, oder in Bhopal in Indien, wo das schlimme Unglück von 1984 langsam in Vergessenheit gerät. Ebenso spannend ist es, von einem Konzert der Bad Brains zu hören oder davon, wie Rollins bei einer College-Abschlussfeier spricht.
Unterhalten kann der Mann halt. Und reden wie ein Wasserfall – schnell, ausdauernd (mehr als 2,5 Stunden) und ohne eine Pause.
James Ellroy anderntags hat leider viel zu wenig geredet. Der Schriftsteller – nach augenzwinkernder Selbstauskunft „das größte literarische Genie seit Dostojewski“ und „das größte Genie überhaupt seit Beethoven“ – war zum ersten Mal überhaupt in Berlin. Da hätte man gerne viel mehr von ihm gehört.
Zumal Ellroy ein Schriftsteller ist, der großartige Lesungen hält. Seine Bücher haben (auf alle Fälle in der englischen Fassung) eine brutale Intensität. Live betont der Amerikaner das noch, indem er seinen Text liest wie einen Rap. Popmusik nannte Claudius Seidl von der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (zu ihm noch mehr) das, aber das ist Unsinn. Würde Ellroy Musik machen, dann wäre sie wie der Hardcore von Black Flag. Von Pop kann hier keine Rede sein.
Leider liest Ellroy an diesem Abend im Kulturkaufhaus Dussmann nur zwei Passagen. Eine wird von Schauspieler Matthias Brandt anschließend auf Deutsch vorgetragen, eine weitere ist nur auf Deutsch zu hören. Brandt macht seine Sache gut, aber bei einer Veranstaltung von nur einer Stunde ist das Zeitverschwendung.
Richtig ärgerlich ist aber das Interview von Seidl, der angeblich gute Texte schreibt (seit ich mich in der FASZ über einen Text ärgerte, der zu konservativen Montagsdemos gegen die damalige rot-grüne Regierung aufrief, habe ich sie nicht mehr gelesen). Offenbar aber geht der Interviewer davon aus, dass die Zuhörer Leben und Werk Ellroys nicht kennen. Wie unsinnig das ist, zeigt sich später, als einige Zuhörer sich gleich ein halbes Dutzend Bücher signieren lassen.
Jedenfalls befragt Seidl Ellroy über die hinlänglich bekannte Vorgeschichte zur „Schwarzen Dahlie“, über dessen eigene Biografie und über einzelne „Helden“ wie Dwight Holly und Wayne Tedrow, die in den Romanen des Amerikaners ständig wiederkehren.
Immerhin gibt es einige Erkenntnisse:
– Ellroy hat weder Fernsehen noch Computer. Zeitungen liest er auch nicht. Und zum Recherchieren benutzt er einen Angestellten.
– Der Mann sieht tatsächlich sehr sympathisch aus in seinem Pullover und mit seiner Brille.
Wie er selber seine Figuren sieht – vor allem die rassistischen Antihelden -, hätte mich aber auch noch interessiert. Und wer hat seiner Meinung nach JFK ermordet?
Nach der Lesung signiert Ellroy dann Bücher – sehr geduldig, fast alle stellen sich an. Eine Mitarbeiterin bereitet die Autogramme aber immerhin vor und schreibt die Namen der Fans auf Zettel. Der Kringel darunter sieht sehr lustig aus. So unterschreibe ich auch, wenn ich mal mein erstes Buch veröffentlicht habe…