Kurz, lakonisch, spannend: Ferdinand von Schirachs Buch „Verbrechen“
Nein, schreibt Ferdinand von Schirach am Ende seines Buchs, dies ist kein Apfel und zitiert damit ein Bild von René Magritte. Aber Äpfel gibt es hier sehr viele – manche spielen nur eine Nebenrolle und werden gegessen, andere sind Auslöser einer tragischen Geschichte wie in „Das Cello“. Kurzum: Äpfel sind das verbindende Element in „Verbrechen“, der Story-Sammlung Ferdinand von Schirachs.
Der ist Rechtsanwalt in Berlin und hatte dabei mit einigen bekannten Mandanten zu tun – Günter Schabowski gehörte etwa dazu. Der Leser kann sich also gut vorstellen, dass von Schirach so manche Anekdote aus seinem Berufsleben zu erzählen hätte und so seine Eitelkeit pflegen würde. Der Enkelsohn des Nazis Baldur Benedikt von Schirach verzichtet darauf, er selbst taucht nur selten in seinen Stories auf – und vermeidet damit einen der größten Fehler, den er hätte machen können.
Denn die elf Geschichten, die er zu erzählen hat, wirken vor allem durch ihre Hauptpersonen, durch Menschen, die mal ganz zufällig in ein Verbrechen geraten, mal durch einen schlimmen Schicksalsschlag und des öfteren auch ganz bewusst. Es sind alles wahre Geschichten, was den Eindruck nur verstärkt. Von Schirach hat sie lediglich so weit verfremdet, dass die Hauptfiguren nicht mehr wiederzuerkennen sind.
Ihre Schicksale sind überaus vielfältig: Zu einer der stärksten Stories gehört etwa die Geschichte des Arztes Friedhelm Fähner, der einst seiner Frau Ingrid die ewige Treue geschworen hatte und diesen auch nicht brechen will, nachdem er jahrzehntelang von ihr gequält wurde. Man kann ihn ein wenig verstehen, als er Ingrid nach vielen Ehejahren mit der Axt zerteilt und dann die Polizei ruft.
Mysteriös sind hingegen zwei andere Geschichten: die von „Tanatas Teeschale“, die seit Jahrhunderten im Besitz einer japanischen Familie ist. Als ein paar Neuköllner Jungs sie aus seinem Dahlemer Tresor stehlen (nichts ahnend, es geht ihnen um das Geld), werden später einige Verbrecher in dem Bezirk brutal umgebracht. Bis die Teeschale zurück ist.
In „Notwehr“ berichtet von Schirach von einem mysteriösen Mann, der auf einem Berliner Bahnsteig von zwei Skinheads angegriffen wird. Er wehrt sich und tötet beide, als die mit Messer beziehungsweise Baseball-Schläger angreifen. Im Gefängnis redet der Mann kein Wort. Das Gericht lässt ihn letztlich frei; es handelt sich um Notwehr. Doch könnte der Mann etwas mit einem Mord zu tun haben, verübt in derselben Nacht? Auch der Autor erfährt die Antwort nicht.
Nur selten erklärt der Rechtsanwalt sein eigenes Handeln: In „Summertime“ etwa, der Geschichte über einen prominenten Unternehmer, der in Verdacht gerät, eine junge Teilzeit-Prostituierte umgebracht zu haben. Hier erklärt von Schirach, wie er arbeitet; hier ist er aber auch derjenige, der den Beweis liefert, dass der Verdächtige unschuldig ist.
Von Schirach ist offensichtlich ein guter Anwalt – auf alle Fälle aber auch ein toller Schriftsteller. Er erzählt seine elf Geschichten über rund 200 Seiten in der gebotenen Knappheit. Nichts ist hier überflüssig; die Figuren werden mit wenigen Worten skizziert, die Handlung ist frei von unnötigen Nebensträngen.
„Die meisten Leute, die Krimis schreiben, erleben keine Krimis, sondern sitzen in Prenzlauer Berg bei einem Cappuccino und denken sich die Welt aus. Deswegen müssen sie sehr ausführlich beschreiben, wie jemand mit Messer und Gabel gegessen hat…“, erzählt von Schirach in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er selbst habe das zum Glück nicht nötig.
Entsprechend beeindruckend ist „Verbrechen“ geworden – „geschriebenes Kino im Kurzformat“, wie „Der Spiegel“ urteilt. Und wirklich: Man würde sich diese Geschichten auf der Leinwand wünschen – kurz, lakonisch, aber ausgesprochen spannend.
Ferdinand von Schirach: „Verbrechen“
205 Seiten, 16,95 Euro
Piper Verlag
ISBN: 978-3-492-05362-4
Der Text ist am 4. Dezember im Oranienburger Generalanzeiger erschienen.
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