Beatsteaks bringen 2000 Nutzer – Werbung bei Facebook

This entry was posted on 5.12.2009

Gute alte Zeiten. Da haben wir ein paar Flyer kopiert, ein paar Schwarzweiß-Poster auf A3 hochgezogen und diese dann verteilt. Das reichte als Werbung für eine Show, die Leute kamen trotzdem. Heute? Keine Ahnung, wie man am besten wirbt. Vielleicht muss man auf einem Hardcore-Messageboard einen gewissen Buzz um eine Band erzeugen oder irgendetwas anderes tun, was man neudeutsch als „Guerilla-Marketing“ bezeichnet. Können die Leute nicht einfach erkennen, welche Bands cool sind und dann gepflegt auf dem Konzert erscheinen? Offenbar nicht mehr.

Sei’s drum. Ich habe mich jetzt auch um Guerilla-Marketing gekümmert. Ich habe mich schon lange gefragt, warum ich eigentlich bestimmte Anzeigen bei Facebook angezeigt bekomme – für „Arno und die Morgencrew“ etwa, einer schlechten Radioshow bei RTL in Berlin. Andere Werbetreibenden wollen mir ein grünes MacBook schenken, aber nur, wenn ich das Kleingedruckte ignoriere (das da sagt: Hiermit schalten Sie einen Vertrag für 7,99 Euro im Monat mit einer Laufzeit von zwei Jahren ab) und dann auch nur vielleicht. Menschen, die darauf reinfallen, glauben auch daran, dass der nigerianische Ex-Minister, der ihnen da gerade rund 2,5 Millionen Dollar anbietet, echt ist. Ich glaub daran nicht. Will ich also auf ein gutes Punkrock-Konzert in diesem Umfeld hinweisen?

Dann aber sah ich letztens eine Werbung für die Tour von Haymarket Riot bei Facebook und war für einen Moment überrascht. Da passte die Werbung ja mal. Andererseits bin ich mit der Band ohnehin über Facebook im Kontakt, insofern verwundert die Anzeige nun auch wieder nicht.

Mir war es trotzdem etwas suspekt, auf der Plattform eine Anzeige zu schalten. Andererseits: Ist es mein Problem, wie viel andere dort über sich preisgeben und wie sie sich damit zur möglichen Zielgruppe von Werbetreibenden machen? Wohl kaum. Und deswegen siegte auch die Neugierde, ob diese Art von Kampagne für ein Southport-Konzert Sinn macht.

Ãœberraschend, wie sehr man dort das Profil seiner eigenen „Zielgruppe“ eingrenzen kann. Sollte ich die Werbung für alle Berliner frei schalten? Wohl kaum, der Großteil wird mit Punkrock nichts anfangen. Mit Stichworten definiert man die Empfänger der Werbung weiter ein: Punkrock bringt nur ein paar hundert potenzielle Konzertgänger, The Clash noch einmal genauso viel.

Dann beginnt Facebook, dir Begriffe vorzuschlagen. Wäre es nicht sinnvoll, auch Ramones und Sex Pistols in die Liste aufzunehmen, sowie Dead Kennedys, Minor Threat oder Black Flag? Gerne. Damit hätten wir schon 1600 Nutzer, die die Werbung später angezeigt bekommen. Da wäre das Wild at Heart doch schon voll. Aber wir wollen nicht kleinlich sein, packen wir noch Beatsteaks (2000 weitere Nutzer) und Green Day (1100 Personen) oben drauf – wird schon irgendwie passen. Snuff, SO 36 oder Coretex kennt das Social Network hingegen nicht.

Wenn dem Leser das schon zu denken gibt, können wir noch ein wenig weitergehen. Rund 80.000 Mal ist die Werbung für Southport nach sechs Tagen angezeigt worden, 32 Mal hat die „Zielgruppe“ auch drauf geklickt (das klingt nach einer schlechten Zahl, aber andererseits dürfen das auch nicht viel mehr werden, denn jeder Click kostet mich im Schnitt 39 Cents). Und ein bisschen was weiß ich auch über diese Menschen: Dass ein Viertel davon zwischen 18 und 24 Jahren alt und weiblich ist (das sind die Green-Day-Fans – kleiner Scherz).

Rund ein Zehntel hingegen ist über 35 Jahre alt, was dann wohl diejenigen sind, die eine der alten Hardcore-Bands in ihrem Profil haben. Es gibt sogar noch einen Button, um das Profil der Antwortenden genauer auswerten zu lassen – da kommt bei mir aber keine Antwort raus. Schade, hätt mich doch interessiert.
Das alles erzeugt ein leichtes Unwohlsein. Wie viel verrate ich selbst in meinen Profilen, wie mache ich mich selbst zum Ziel von Anzeigenkampagnen? Ich bin auf Facebook unter anderem Fan von Charles Mingus, Hüsker Dü und The Clash. Welchen Wert habe ich damit für Facebook als Nutzer? Möglicherweise gar keinen, aber wer weiß das schon.

Bei Amazon und Google ist mein Werbewert höher. Die Suchmaschine hat schon klareres Profil über mich und weiß, wonach ich gesucht habe – nach welchen Begriffen (zuletzt: kostenlose WordPress-Themen, Kick Joneses oder Southport), nach welchen Bildern (etwa der Schauspielerin Lizette Carrion oder nach eine alten Lampe, die ich für den Southport-Flyer benutzt habe) oder welchen Videos (Daniel Johnston, Probot, Blitzen Trapper). Andererseits habe ich ein Google-Analytics-Account, weil ich selber wissen will, wie oft meine Webseite aufgerufen wird. Darf ich mich also beschweren? Wohl nicht.

Und bei Amazon bestelle ich auch regelmäßig englischsprachige Bücher, weil ich die ansonsten kaum bekommen würde. Da freue ich mich einerseits, dass ich auf den neuen Roman von Philipp Roth hingewiesen werde, und finde des amüsant, wenn ich regelmäßig neues Kartenmaterial aus afrikanischen Staaten angepriesen bekomme, weil ich mal eine von Ghana gekauft habe sowie ein Buch über die Geschichte des Kongo. Darf ich mich also über Amazon beschweren? Auch nicht.

Dann muss ich auch hinnehmen, dass Facebook so einiges über mich weiß – ich hätte mich dort ja nie anmelden müssen. Und wenn ich die 35 Menschen, die sich für meine Anzeige interessiert haben, zusätzlich ins Wild at Heart bekomme, soll mir das auch recht sein. Dann erleben sie wenigstens mal ein gutes Konzert.

Diese Kolumne ist in der Trust-Ausgabe 139 erschienen

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