Neulich am Kottbusser Tor – Christliche Werbung bei der BVG

This entry was posted on 1.10.2009

Neulich im U-Bahnhof Kottbusser Tor: Ich hatte den Sinn des Posters beim ersten Mal gar nicht begriffen, hielt es für eine etwas ungewöhnliche Werbung eines Unternehmens, das mit Plakatwerbung sein Geld verdient. Erst beim zweiten Hinschauen merkte ich, dass dort jemand auf Türkisch und Deutsch die U-Bahn-Fahrer dazu anhalten möchte, in den Schoss Jesu‘ zurückzukehren. „Niemand kommt zum Vater (zu Gott) als nur durch mich“, wird dort ein vermeintliches Zitat Jesu‘ wiedergegeben.

Der Auftraggeber ist ein Vereins namens C-Plakat. Der wird von einer Familie von der Mark geführt, die dort alle Vorstandsposten besetzt. Eine schnelle Internet-Recherche bringt nicht viel zutage, nur einen nichts sagenden Artikel auf dem Nachrichtenportal „Der Westen“ und ein paar christliche Webseiten.

Die Werbung war aber dreist, nicht nur, weil sie ausgerechnet in einem gemischt atheistisch-türkischen Stadtviertel hing. Sie war sogar so dreist , dass ich der Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) eine Mail schrieb. Denn noch im März hatte die BVG eine atheistische Buswerbung abgelehnt: „Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keinen Gott. Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben“, hätte es da heißen sollen. Das klingt doch um einiges weniger aggressiv als das C-Plakat.

Mir persönlich ist es reichlich egal, woran Menschen so glauben: an einen christlichen Gott, an Mohammed und seinen Koran, an gar nichts oder meinetwegen auch an Diego Maradona. Aber wenn mir jemand seinen persönlichen Glauben aufdrängen möchte, stört mich das sehr wohl. Das alles schrieb ich der BVG. Die lapidare, standardisierte Antwort nach ein paar Tagen: Das würde nicht mehr vorkommen; die Unternehmen, die für die Vermarktung der Werbeflächen zuständig seien, hätten Anweisung bekommen, solche Plakate nicht mehr anzunehmen.

Wenn da mal nicht jemand ganz an unchristlich gelogen hat: Noch im März, als gerade die Debatte um den atheistischen Bus lief, gab es in Berliner U-Bahnen eine „Jesus liebt dich“-Werbeaktion. Upps. War wohl auch ein Mitarbeiter, der die neue Regelung nicht kannte.

Das passt aber alles zu der Kampagne, die hier in der Region gerade läuft. Brandenburgs Innenminister, Ex-General Jörg Schönbohm (CDU), konstatierte zum Beispiel eine „Verwahrlosung“ bei ehemaligen Ost-Bürgern, weil sich diese staatlich verordnet von der Kirche entfernt hätten. Was wiederum ein Rückgriff auf Schönbohms Argumentationskette aus dem Jahr 2005 ist, als er die Tötung von neun Babys in einem Ort nahe Frankfurt/Oder als Folge der „erzwungenen Proletarisierung“ der DDR ansah.

Zu Recht bekam Schönbohm für beide Theorien einigen Protest zu hören. Man könnte entgegnen, dass Winnenden, wo ein 17-jähriger Amokschütze im März 15 Menschen umbrachte, im sicherlich sehr christlichen Baden-Württemberg liegt. Die Argumente des brandenburgischen Innenministers sind also sehr beliebig. Aber grundsätzlich sollte er sich lieber um die viel zu vielen Rechtsradikalen im Osten kümmern, als das Christentum zu predigen.

Zum Glück scheinen die Menschen in Berlin immun gegen solche Versuche zu sein: Im Frühjahr lief eine groß angelegte Kampagne für einen Volksentscheid, weil einige Christen nicht wollten, dass ihre Kinder am verpflichtenden, überkonfessionellen Ethik-Unterricht teilnehmen. Sie sollten die Freiheit bekommen, stattdessen das Fach Christliche Religion zu besuchen (was sie zusätzlich natürlich können!). Wer weiß, was als nächstes gefordert werden würde: Befreiung vom Biologie-Unterricht etwa, weil die Eltern glauben, dass die Evolution Teufelswerk sei. Oder so ähnlich.

Der Werbeaufwand war massiv: Beim Joggen kam ich dreimal wöchentlich an einem halben Dutzend Plakaten vorbei, auf denen mich Prominente wie Günther Jauch aufforderten, beim Volksentscheid bloß gegen die Pläne des Senats zustimmen (das wiederum erinnerte unangenehm daran, wie die finanziell gut ausgestattete Initiative zum Erhalt des Flughafens Tempelhof ein Jahr zuvor die Stadt mit hunderten von Postern vollgestellt hatte). Die evangelische Kirche soll damals sogar einigen Pfarrern, die anderer Meinung als ihr Dienstherr waren, den Mund verboten haben. Ein Erfolg beim Volksentscheid war sozusagen erste Christenpflicht.

Ende April kam es dann bekanntlich anders: Überhaupt nahm nur eine Siebtel der Wahlberechtigten am Volksentscheid teil (was bedauerlich ist, immerhin ist das ein Mittel direkter demokratischer Mitbestimmung). Und von dieser kleinen Zahl an Teilnehmern stimmten 51 Prozent gegen Religion und damit für den obligatorischen Ethik-Unterricht.

Eine sehr christliche Kollegin wütete darüber anderntags: Hätte die rot-rote Landesregierung einen anderen Abstimmungstermin gefunden (etwa parallel zur Europa-Wahl Anfang Juni), hätten sich bestimmt mehr Menschen an der Abstimmung beteiligt. Das mag sogar sein, entgegnete ich. Aber vermutlich wäre die Ablehnung dann nur noch größer ausgefallen: Jetzt haben nämlich nur diejenigen abgestimmt, denen das Thema wichtig war. Sprich: Die Kirchen sind an ihre Mobilisierungsgrenze gestoßen. Und das ist eben nur ungefähr jeder 15. Wahlberechtigte. So wird das wohl nichts mit Schönbohms Christianisierungs-Versuch.

Man könnte also auch die C-Plakat-Aktion im U-Bahnhof Kottbusser Tor gelassen sehen. Eine Information lieferte nämlich der Artikel auf „Der Westen“. 150 Rückläufe habe er, erzählt C-Plakat-Vorsitzender Erhard von der Mark da. Im Jahr und aus ganz Deutschland.

Die Kolumne ist erschienen in der Trust-Ausgabe 138

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