Amüsanter Roman mit Beigeschmack – Yu Huas „Brüder“

This entry was posted on 2.10.2009

Eine Geschichte, wie sie bei uns kaum möglich wäre: Zwei Brüder – erst Halb-, dann Vollwaisen – stehen hier im Mittelpunkt. Der eine wird Industrieller, Multimillionär und fliegt zum Mond; dem anderen indes geht jeder Geschäftssinn ab, dafür bekommt er die schönste Frau der Stadt. Ist solch eine Geschichte in China möglich? Gegenfrage: Wo sonst, wenn nicht dort?

Yu Huas Roman „Brüder“ erscheint pünktlich zur Frankfurter Buchmesse mit seinem Gastland China. Der Verlag bedankt sich im Buch ausdrücklich beim „Ãœbersetzungsfonds des Amtes für Presse und Publikationswesen der VR China für die großzügige Förderung der Ãœbersetzung“. Ein Hinweis, der stutzig macht, gerade angesichts der Debatten um Meinungsfreiheit in China rund um die Messe. Ist „Brüder“ ein Roman, der jede Gesellschaftskritik umschifft?

Vor allem – das machen schon die ersten, rasanten seiten klar – ist „Brüder“ eine sehr humorige Geschichte, in der Yu Hua den frisch erweckten Geschäftssinn seiner Landsleute aufs Korn nimmt. „Glatzkopf-Li“ beweist sehr früh, dass er ein Talent hat zum Geld verdienen – und einen immensen Hang zur Exzentrik.

Berühmt wird er in seiner Stadt, weil er als Jugendlicher im öffentlichen Pissoir erwischt wird, als er sich Frauenhintern anguckt. Bei seinen männlichen Mitbürgern entfacht das aber vor allem Neugierde, deren Befriedigung er sich teuer bezahlen lässt.

Auch später macht „Glatzkopf-Li“ aus fast nichts sehr viel: Aus der Behindertenwerkstatt wird ein florierender Betrieb, und mit den Abfällen der Stadt baut er einen Recyclingbetrieb auf. Irgendwann ist die erste Million verdient; vielleicht auch schon die erste Milliarde.

Sein Halbbruder Song Gang – sein verwitweter Vater hatte „Glatzkopf-Lis“ Mutter geheiratet – repräsentiert eher das „alte China“. Weil er so zurückhaltend ist, verliebt sich die schöne Lin Hong in ihn. Und das, obwohl Li seit dem Tag stürmisch um sie warb, als er ihren Hintern erblickte. Beruflich erfolgreich ist Song Gang aber nicht, und das Paar verarmt zusehends – mit tragischem Ausgang.

Das ist mal hinreißend-komisch und dann wieder ausgesprochen traurig. Der ehemalige Zahnarzt Yu Hua erweist sich als toller Geschichtenerzähler, der über 750 Seiten fesseln kann.

Aber echte Kritik ist hier kaum zu finden. Anfangs staunt der Leser noch, wie hart Yu Hua mit der Kulturrevolution umgeht: Der Vater der beiden „Brüder“ ist eigentlich ein engagierter Kommunist, aber weil sein Vater einst ein Großgrundbesitzer war, verliert er seine Stellung als Lehrer, er muss sich bepöbeln lassen und wird gefoltert.

Hätte Yu Hua diesen Ton beibehalten, hätte er wohl dieselben Repressalien wie andere Autoren erlebt. Aber von Politik ist in dem Buch später keine Rede mehr – Kritik an der Kulturrevolution ist gewollt, an der Gegenwart aber verboten.

Der Schriftsteller Liao Yiwu, der eigentlich ebenfalls zur Buchmesse nach Frankfurt kommen wollte und am 10. Oktober im Haus der Kulturen der Welt in Berlin ebenso wie Yu Hua sprechen sollte, ist direkter in seiner Kritik. Ihm untersagte die chinesische Regierung deshalb auch die Ausreise nach Deutschland.

Im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ wurde Liao Yiwu kürzlich sehr deutlich, als es um Yu Hua ging: Dieser sei ein „Militärschreiber“, bezahlt von der Volksbefreiungsarmee. Dann wiederum wundert es natürlich nicht, warum die Ãœbersetzung des Buchs so großzügig gefördert wurde.

„Brüder“ ist ein kurzweiliges und sehr amüsantes Buch, eine echte Lese-Empfehlung. Ein Beigeschmack bleibt aber angesichts der Ereignisse rund um die Frankfurter Buchmesse.

Der Text ist am 2. Oktober im Oranienburger Generalanzeiger erschienen.

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