Der Gangster als Popstar – „Public Enemies“ mit Johnny Depp

This entry was posted on 6.08.2009

Man darf John Dillinger durchaus als Prototypen für den Gangster in der Popkultur bezeichnen: Der Räuber floh mehrfach aus dem Gefängnis, er stahl in der Weltwirtschaftskrise große Summen von den Banken und verschonte die Armen. Menschen und Medien liebten ihn dafür. Die Polizei konnte seinem Treiben erst ein Ende setzen, als sie ihn mit mehreren Schüssen niederstreckte – in den Rücken! Schneller kann ein Verbrecher nicht zur Legende werden.

Auch Regisseur Michael Mann hat sich von dieser Geschichte inspirieren lassen und Ereignisse aus dem Leben Dillingers in seinen Hit „Heat“ einfließen lassen. „Public Enemies“ wirkt an manchen Stellen wie die „Originalfassung“ des Krimis von 1995, allerdings anderthalb Jahrzehnte später gedreht.

Der Film mit Johnny Depp als Gangster und „Batman“-Darsteller Christian Bale im Al-Pacino-Part als Polizist setzt spät ein: Im Jahr 1933, als Dillinger nach einer Verhaftung mit geschmuggelten Waffen aus dem Gefängnis befreit wird. Er hat zu diesem Zeitpunkt nur noch rund 15 Monate zu leben.

Aber was zuvor in Dillingers Leben passiert ist, verblasst ohnehin gegenüber diesen letzten Monaten: Er wuchs auf im ländlichen Indiana, im englischen Original am breiten Unterschichten-Slang zu erkennen. Sein Vater schlug ihn, erzählt er später seiner Freundin Billie (Marion Cotillard), eine Erziehung gab es ansonsten nicht. Irgendwann geriet er auf die schiefe Bahn und landete im Gefängnis.

Als er Billie kennenlernt, hält sich Dillinger indes schon für unbesiegbar – ein Trugschluss, wie seine Freundin immer wieder warnt. Das hätte der Verbrecherkönig selbst ahnen können. Längst hat die Polizei den ersten „war on crime“ ausgerufen – Michael Manns Referenz an den Krieg gegen den Terror der Bush-Jahre, in denen das Drehbuch zu „Public Enemies“ entstand.

Wie dieser Krieg aussehen wird, zeigt sich später: Der smarte Polizist Melvin Purvis (Christian Bale) setzt zwar auf moderne Ermittlungsmethoden, seine Kollegen gehen indes handfester zur Sache. Sie foltern durchaus die Freundin, um an Dillinger heranzukommen – noch ein Verweis auf die Moderne.

Am Ende wird es für den Gangster allerdings vor allem deshalb eng, weil ihn die Mafia fallen lässt: Der US-Senat erlässt wegen Dillinger schärfere Gesetze, die auch für das organisierte Verbrechen zur Gefahr werden.

Auch die Medien bleiben in dieser Geschichte nicht verschont. Die Presse behandelt den Verbrecher, der immerhin Menschenleben auf dem Gewissen hat, wie einen Popstar. Als Dillinger erneut verhaftet wird und ihn die Journalisten auf dem Weg ins Gefängnis interviewen dürfen, benehmen sich diese wie eine Schar aufgekratzter Fans im Teenager-Alter. Kurze Zeit später gelingt Dillinger die Flucht.

„Public Enemies“ ist also ein durch und durch zeitgemäßer Film. Mann betont das noch, indem er beeindruckend deutlich ausgeleuchtete, digital verfeinerte Bilder einsetzt: Jede Pore, jeder Makel im Gesicht der Hauptdarsteller ist erkennbar.

Nur Christian Bale bleibt verschwommen; er ist hier nur der Nebendarsteller, nachdem er mit Filmen wie „Batman“ und „Terminator“ zum Superstar geworden ist. Faszinieren kann hingegen die Figur des so widersprüchlichen Dillinger, der zugleich Lebemann und Romantiker ist, so ungebildet wie weltläufig.

Nicht umsonst hat Mann „Public Enemies“ eher als Bio-Picture (mit historischen Freiheiten) und Gesellschaftskritik angelegt. Als reiner Krimi hätte die Geschichte auch nicht funktioniert: Die Geschichte des Gangster-Popstars Dillinger ist dafür in den USA zu bekannt.

Der Text ist am 6. August im Oranienburger Generalanzeiger erschienen.

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