Eine schön skurrile Familie – Joey Goebels neuer Roman „Heartland“

This entry was posted on 4.07.2009

Das ist schon eine skurrile Familie, die sich Joey Goebel da ausgedacht hat: „Blue“ Gene Mapother hat einen Vokuhila und einen Schnäuzer, einen melonenförmigen Bierbauch und einen Trailer als Wohnung. Weißer, amerikanischer Trash halt.

Henry Mapother hingegen ist der reichste Mann des Bundesstaates, ein Tabakfarmer mit politischen Ambitionen, die sein Sohn John für ihn verwirklichen soll. Gemeinsam mit seiner Frau Elizabeth stellen sie die amerikanische Idealfamilie da: Christlich, patriotisch und jederzeit perfekt. Fast zumindest – wäre da nicht Blue Gene, Henrys anderer Sohn und das schwarze Schaf der Mapothers.

Goebel liebt solche Gegensätze. Schon in seinen ersten beiden Büchern, „Vincent“ und „Freaks“, hat er sich mit Leidenschaft einigen Außenseitern gewidmet und dabei gleichzeitig seine Traum-Gesellschaft skizziert – in der jeder so sein darf, wie er möchte, ohne den Druck den allzu konforme Mitmenschen üblicherweise ausüben.

Von „Freaks“ führt eine direkte Linie zu Goebels drittem Roman „Heartland“. In „Freaks“ spielte eine Punk-rockband die Hauptrolle, in „Heartland“ ist die Sängerin einer solchen Kapelle die wichtigste Figur neben der Familie Mapother.

Die versucht zu Beginn des Romans, sich widerwillig zusammenzuraufen. Vier Jahre lang hatten sich Blue Gene und der Rest der Mapothers ignoriert, nachdem der Sohn mit einer Drogen konsumierenden Stripperin zusammengezogen war.

Nun aber möchte John in den Kongress gewählt werden, um einen religiösen Traum seiner Mutter wahr werden zu lassen. Da macht sich eine dysfunktionale Familie nicht sonderlich gut; in den USA schlachten die Medien solche Fehler gerne aus. Also bemühen sich die Mapothers wieder um ihren verlorenen Sohn.

Angenehmer Nebeneffekt: Während John und Henry als Firmenchefs ihres Tabakkonzerns als abgehoben und elitär gelten, ist Blue Gene ein „Mann des Volkes“, der mit gewöhnlichen Leuten umgehen kann und genau wie sie schlechten Rock, Wrestling und Monster Trucks mag.

Aber natürlich läuft hier vieles schief: Die Mapothers haben – wahrscheinlich wie jede steinreiche Familie – eine Leiche im Keller. Ohne zu viel verraten zu wollen: Der Wahlkampf wird eine harte Tortur. Und dabei sah anfangs alles so einfach aus.

Goebel liegt mit seinem Roman ganz auf einer Linie mit einigen anderen jungen amerikanischen Schriftstellern, die sich mit dem „Herzland“ der Vereinigten Staaten, mit den einfachen Menschen beschäftigen. Es gibt allerdings einen Unterschied zwischen Goebel und dem Rest: Seine Romane sind bei aller Tragik, die in der Geschichte stecken mag, überaus komisch – während andere Autoren ihren Büchern lieber eine depressive Schwere geben.

Goebel ist ein ehemaliger Punkrocker, der die Gesellschaft mit viel Freude seziert. Immer wieder taucht hier die (sehr amerikanische) Diskussion darüber auf, ob eine bestimmte Einstellung überhaupt „patriotisch“ oder doch eher unamerikanisch ist. Selbst wenn es um ein Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden geht, schrillt der Patriotismus-Alarm sehr bald auf.

Auch Blue Gene ist ein Opfer dieser Debatte; er tut alles, um möglichst nicht „schwul“ zu wirken (das ist eine Abwandlung der gleichen Diskussion). Dafür hört er sogar schlechte Musik. Aber immerhin: Er wandelt sich im Laufe des Romans – wie sich auch zumindest ineinigen Teilen der USA diese Einstellung ändert. Barack Obama sei Dank. Deshalb ist „Heartland“ auch der passende Roman zum letztjährigen amerikanischen Wahlkampf.

Kein Wunder, dass die mehr als 700 Seiten von „Heartland“ in kürzester Zeit gelesen sind; das Buch ist ein richtig schöner Schmöker für den Sommerurlaub. Letztlich ist auch Blue „Gene“ so ein naiver Punkrocker wie Goebel, der glaubt, mit dem Familienvermögen einen Ort schaffen zu können, an dem sich alle Außenseiter dieser Welt Zuhause fühlen. Das ist kindlich-naiv und geht leider daneben. Aber schön ist die Vorstellung trotzdem.

Joey Goebel:
„Heartland“
Diogenes Verlag
720 Seiten, 22,90 Euro
ISBN: 978-3-257-06694-4

Der Text ist am 4. Juli im Oranienburger Generalanzeiger erschienen.

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