Gruseln mit allen Sinnen Philip Glass, Michael Riesman und das Kronos Quartet stellen „Dracula“ in der Zitadelle vor
Werwölfe haben hier dereinst wohl nicht gelebt, Vampire auch nicht. Aber womöglich der ein oder andere Hausgeist. Heutzutage leistet sich die Zitadelle Spandau nur noch einen Fuchs. Und der läuft schreckhaft davon, als er am Donnerstag die Schlangen am Einlass sieht.
Es gibt kaum einen besseren Orte für die Filmvorführung von „Dracula“, musikalisch begleitet vom Kronos Quartet sowie Philip Glass und Michael Riesman am Klavier. Wenn die im 16. Jahrhundert gebaute Festung in die Dunkelheit eintaucht und nur spärlich mit Schwarzlicht beleuchtet wird, ist die Atmosphäre für einen Klassiker des Gruselkinos perfekt.
So richtig schaurig wirkt der Film von 1931 mit Bela Lugosi heute allerdings nicht mehr. Wenn Dracula seine Opfer beißt, hat Regisseur Tod Browning längst abgeblendet. An manchen Stellen erlaubt sich das Publikum sogar zu lachen. Die Erotik der Geschichte, 1993 von Francis Ford Coppola mit Winona Ryder in der Rolle der Mina deutlich herausgearbeitet, wird nur angedeutet.
Überhaupt lebt der Film von seiner Zurückhaltung: Die Dialoge sind reduziert, Musik gibt es nur in einer einzigen Szene. Auch deshalb hatte Philip Glass vor gut zehn Jahren so wenig Probleme, „Dracula“ nachträglich mit Musik zu versehen. Der bekannte New Yorker Komponist bekam Ende der Neunziger den Auftrag dazu, als der Filmverleih Universal eine DVD-Neuausgabe plante. Er spielte die Musik zusammen mit dem Kronos Quartett live ein; später veröffentlichte Michael Riesman eine Interpretation nur fürs Klavier.
Gemeinsam sind die Sechs nun auf kurzer Tour durch Europa – am Donnerstag Berlin, am Sonnabend Dresden, später Lyon und London. Die Aufführung ist also schon ein Ereignis, weshalb die Zitadelle an diesem Abend gut gefüllt ist.
Anfangs müssen die Tonmeister noch die richtige Mischung finden. Dieser „Dracula“ ist kein Stummfilm, und während einige Zuschauer am Mischpult um lautere Musik bitten, müssen sich andere konzentrieren, um die englischen Original-Dialoge zu verstehen. Bald aber finden sich Musik, Dialog und Bilder, zumal Glass einen großartigen Soundtrack komponiert hat. Ruhig, wenn die Dialoge in den Vordergrund gehören. Melodisch-sentimental, wenn der verzweifelte Irre Renfield auftritt. Und dramatisch, wenn sich Dracula an Mina vergreift.
In der Zitadelle passt alles zusammen. Hier lässt sich der Film mit fast allen Sinnen erleben. Als erstmals die Fledermaus vor dem Fenster Minas flattert, streicht plötzlich ein leichter Wind von hinten durch die Beine. Und als Minas Vater, ihr Verlobter sowie Vampirjäger Van Helsing kurz vor dem Ende um das Leben der Schönheit fürchten, donnert ein in Tegel startendes Flugzeug über das Gelände hinweg und in die dramatische Musik hinein. Wären beide Effekte so bestellt worden, hätte man sich nicht gewundert.
Als der Film nach kurzweiligen 75 Minuten zu Ende ist, geht der Blick nach oben: Doch die Fledermäuse, die hier ihr Winterquartier aufschlagen, sind heute nicht zu sehen. Schade.