Jingo de Lunch live im Festsaal Kreuzberg: Ein Abend nicht nur für Nostalgiker

This entry was posted on 28.02.2010

Für uns Landeier waren Jingo de Lunch damals irre aufregend. Wir kamen ja – als wir noch nicht unsere Führerschein-Prüfung bestanden hatten – nicht aus unserer Kleinstadt weg, um im Ruhrgebiet ein Konzert sehen zu können. Punk war da nur ein Geräusch in weiter Entfernung.

Jingo de Lunch waren dann, im Winter 1990 oder so, eine der ersten Hardcore-Punk-Bands, die ich sehen konnte. Das war eine völlig neue Erfahrung. Yvonne Ducksworth fanden meine Freunde und ich ohnehin alle toll, die Band rockte. Und machte mitten drin eine Pause, setzte sich auf die Bühne und trank erstmal ein paar Bier. Ich hatte vorher große Shows etwa von Alice Cooper gesehen, da gab es so etwas nicht.

Ein paar Jahre danach raunte mir ein Freund zu, ich müsse mir unbedingt den Fernsehfilm „Trouble“ im Zweiten angucken. Da spiele Yvonne Ducksworth nicht nur mit, sondern habe sogar eine Nackszene. Ui.

Später dann ließ die Liebe zu Jingo de Lunch nach. Die Band bewegte sich immer weiter in Richtung Hardrock, ich hörte mir lieber andere Hardcore-Bands oder gleich Grind an. Das passte nicht so recht. „Deja Voodoo“ habe ich bis heute nicht gehört, glaube ich. Als Jingo sich Mitte der Neunziger auflösten und Yvonne Richtung USA verschwand, vermisste ich die Band deshalb auch nicht sonderlich.

Aber ich war trotzdem froh, als zehn Jahre später eine Reunion-Show in Berlin anstand und die Compilation „The Independent Years“ erschien. Die muss man haben, weil hier die besten Songs versammelt sind sowie die komplette und rare „Cursed Earth“-EP, die ich in Vor-Ebay-Zeiten überall erfolglos suchte.

Aber war’s das wieder für die Band? Ein kleiner Ausflug in selige, aber längst vergangene Zeiten? Offenbar nicht. Danach war die Gruppe immer mal wieder aktiv. Und das Konzert im Festsaal Kreuzberg (wie auch die gerade laufende Deutschland-Tour) ist eher ein Vorgeschmack auf Teil II der Geschichte. Es wäre auch ein bisschen peinlich, würde die Gruppe jetzt immer wieder mit den immer gleichen Liedern Shows geben. Deshalb steht demnächst auch eine neue Platte an.

Im Festsaal Kreuzberg gab es natürlich viele „Hits“ zu hören, auf die sich die rund 400 eher älteren Fans gefreut hatten: „Peace of Mind“ vom Debüt zum Beispiel, „No One Can Reach You“ von „Cursed Earth“, „Did You Ever“ oder der Titelsong von „Axe To Grind“ oder „Growing Pains“ von „Underdog“, das im Original von der italienischen Band Upset Noise stammt. Wer das Konzert der alten Zeiten wegen besuchte, wurde nicht enttäuscht.

Es gab auch ein paar neue Songs. Zumindest vermute ich das, da ich einige Lieder nicht kannte (oder sie stammen von den späteren Alben). Eines davon kündigte Yvonne als „The Job“ an – ein eher hart rockender Titel, der weniger die frühen Hardcore-Punk-Jahre ins Gedächtnis rief. Mal schauen, wie sich das hinterher auf CD anhört. Auch „neu“ ist Jingos erstes Lied auf Deutsch (nachdem Yvonne so lange in Berlin gelebt habt und eigentlich ein sehr hübsches „Denglisch“ spricht). Das Wort „neu“ gehört hier in Anführungszeichen, weil es sich dabei um das Slime-Cover „Etikette tötet“ handelt, das im vorigen Jahr auf einem Tribute-Album erschienen ist.

Die Band war toll bei der Show. Yvonne wirkte agil wie eh und je, sie unterhielt das Publikum mit ihren schönen Ansagen und schwang in den Soli ihre Dreadlocks wie früher. Dass seit meiner ersten Jingo-Show 20 Jahre vergangen sind (und die Gründung schon 1987 erfolgte), hätte man nicht geglaubt. Nur beim neuen (und nun einzigen) Gitarristen Gary Schmalzl, der unter anderem auch in Bela Bs zweiter Band Los Helmstadt spielt, sieht man, dass er wirklich nicht mehr der Jüngste ist.

Natürlich merkt man der Musik an, dass sie anachronistisch ist. Heute würde keiner mehr solch eine Band gründen. Jingos Sound ist schon sehr mit der Crossover-Idee der späten Achtziger verbunden, als auch Gruppen wie Corrosion of Conformity Hardcore und Metal verschmolzen. Es ist eben kein Zufall, dass die Band Thin Lizzy genauso covern kann wie die Bad Brains oder nun Slime. Macht heute keiner mehr, ist aber trotzdem toll. Nun warten wir mal ab, wie das neue Album wird.

Die Rezension ist erschienen auf Waste of Mind

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