Berlinale: Benjamins Heisenbergs „Räuber“ ist ein zwanghafter Verbrecher und Läufer

This entry was posted on 15.02.2010

Der Mann war bekannt als Pumpgun Ronnie: Johann Kastenberger überfiel in den Achtzigern etliche Banken in Österreich und trug dabei eine Reagan-Maske. Zugleich war er erfolgreicher Marathonläufer. Aus dieser Geschichte hat Benjamin Heisenberg den deutsch-österreichischen Wettbewerbsbeitrag „Der Räuber“ gemacht.

Johann Rettenberger (Andreas Lust), die freie filmische Variante dieses Bankräubers, ist ein zwanghafter Mensch. In allem, was er tut. Er könnte zum Beispiel aus seiner Laufbegabung Kapital schlagen: Kurz nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis gewinnt Rettenberger den Wien-Marathon, obwohl er zuvor nur auf dem Laufband in seiner Zelle sowie im Innenhof trainieren konnte. Aber solche Erfolge reichen ihm offenbar nicht.

Stattdessen überfällt er immer neue Banken – einmal sogar zwei in kürzester Zeit. Aber auch dabei gibt es für ihn kein Ziel: Nicht ein einziges Mal wird klar, was er mit all dem Geld machen will. Auswandern, ein schönes Leben in Brasilien beginnen wie einst Ronnie Biggs, der berühmteste aller real existierenden Räuber? Scheint für Rettenberger nicht interessant zu sein.

Auch das Laufen geht er so an: Seine Überfälle sind für ihn Training: Er stiehlt zwar Fluchtautos, die letzte Strecke aber legt er laufend zurück. Die Pulsuhr läuft die ganze Zeit mit – Rettenberger kontrolliert genau seine Herzschläge während seiner Überfälle. Sine eindrucksvollen Siege bei Wettbewerben nimmt er hingegen eher stoisch hin.

Regisseur Benjamin Heisenberg macht es den Zuschauern so nicht leicht, Zugang zu der Hauptfigur zu finden. Rettenberger zeigt einfach keine Emotionen, auch nicht, als er seine ehemalige Freundin Erika Erika (Franziska Weisz) wiedertrifft. Die beiden werden zwar ein Paar, aber auch da steckt für Rettenberger mehr Zwang als Leidenschaft hinter.

So spröde ist der gesamte Film. Das möchte man österreichisches Phlegma nennen, auch wenn Heisenberg selbst Deutscher ist. Beispielhaft ist die Szene, als die Polizei mittlerweile weiß, wer hinter den Banküberfällen steckt. Rettenberger hatte gerade seinen Bewährungshelfer erschossen, als dieser ihm nach einem Sieg bei einem Bergmarathon nervte. (Den Sieg gab es übrigens wirklich, der echte Kastenberger brachte aber einen anderen Mann um, weil er ihn störte). Nun werde die Polizei den Täter „energisch“ suchen, sagt ein Kriminalbeamter – mit einer Stimme, als würde er von einem gewöhnlichen Ladendieb reden.

Tatsächlich nimmt „Der Räuber“ hier an Fahrt auf. Aus der etwas drögen Geschichte wird ein packendes Drama: Seine Freundin Erika verrät ihn, Rettenberger kann aber aus dem Polizeiverhör in die Wälder fliehen. Es gibt von dort kein Entkommen – das müsste dem Mann eigentlich klar sein. Aber er hatte zuvor ja schon beim Laufen und Rauben kein Ziel, insofern überrascht das Verhalten nicht. Heisenberg hatte seine Hauptfigur in einem Interview mit einem Wolf verglichen und sein Werk mit einem Tierfilm. Das trifft es ganz gut: Auch bei Wölfen fragen wir schließlich nicht nach der Motivation.

Allerdings wäre das wahre Ende von Johann Kastenberger der bessere, fast Hollywood-reife Schluss für diesen Film gewesen. Womöglich empfand der Regisseur diesen Ausgang aber als zu unglaubwürdig.

„Der Räuber“ wurde für die ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ produziert. Der Film ist mehr als das, er hat die Kinoleinwand verdient. Und Andreas Lust, der den ausgemergelten Marathonläufer und manischen Bankräuber so überzeugend spielt, ist durchaus ein Anwärter für den Darstellerpreis.

Die Texte zur Berlinale erscheinen im Oranienburger Generalanzeiger.

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