„Billie Jean“ mit Donnergrollen – Ornette Coleman im Schloss Neuhardenberg
An musikalischem Selbstbewusstsein hat es Ornette Coleman in seiner Karriere nie gemangelt: „The Shape of Jazz to Come“ hieß 1959 eines seiner ersten Alben; ein Jahr später gab er mit der Veröffentlichung von „Free Jazz“ einem ganzen Genre einen Namen.
Auch „Sound Grammar“, das bislang letzte Album, will nicht weniger als die universelle Grammatik der Musik vermessen – sei es in Jazz, Klassik oder anderen Genres. Die Platte war 2006 eine mittlere Ãœberraschung, immerhin hatte Coleman zuvor zehn Jahre lang nichts mehr veröffentlicht. 2007 bekam der Saxophonist für das Album sogar den neu geschaffenen Pulitzer-Preis für Musik.
Und nun ist der 79-Jährige also auf großer Europa-Tour. Das einzige Konzert in Deutschland fand am Mittwoch am Schloss Neuhardenberg statt. Eine perfekte Kulisse: Harmonisch fügt sich die Bühne zwischen Schloss und See ein; bedrohlich schieben sich dunkle Gewitterwolken, die an diesem Abend noch eine große Rolle spielen werden, von links ins Bild. Zwischen diesen Kontrasten schwebt auch die Musik Colemans.
Sein Quartett tritt in eher ungewöhnlicher Besetzung an: Colemans Sohn Denardo gibt der Musik den richtigen Rhythmus, hält sich aber zurück. Auch Kontrabassist Tony Falanga bleibt meist ein wenig im Hintergrund.
Währenddessen spielt Al McDowell eine eher afrikanische Variante des E-Basses: meist eine Oktave höher als gewöhnlich und damit in den Klangregionen der Gitarre gelegen, aber mit dem spezifischen, dunkleren Sound des Instruments.
Und Coleman? Man hat immer wieder den Eindruck, dass der 79-jährige mit seinem Saxophon (er greift des öfteren auch zur Trompete) frei über der Musik schwebt. Das trügt, wie spätestens dann klar wird, wenn sich Coleman und McDowell die Riffs im typischen „Call-and-Response“ des Blues zuwerfen oder wenn die Band Breaks auf den Punkt genau spielt. Free Jazz heißt eben gerade bei Coleman nicht, dass jeder tun kann, was er mag.
Es gibt aber auch immer wieder im engen Wortsinne schöne Momente in der Musik. Etwa wenn Falanga zum Bogen greift und eine Sonate von Bach anstimmt, während McDowell nur punktuell Akzente setzt. Zunächst stimmt Coleman auf der Geige ähnlich harmonisch, nimmt die Musik dann aber auf dem Streichinstrument genauso auseinander wie ansonsten mit seinem Saxophon. Hier zeigt der großartige Musiker, wie er sich die „universelle Grammatik des Sounds“ vorstellt.
Aus diesem sehr guten Konzert wird aber erst dann ein intensives Erlebnis, als die Natur eingreift. Kurz vor Ende des regulären Sets fallen die ersten Regentropfen zu Boden, die Zuschauer hält es nicht mehr auf ihren Stühlen, sie stürmen unter das kleine Vordach unter der Bühne. Die Distanz zwischen Musikern und Publikum ist endlich aufgehoben.
In dem Moment, als aus den Tropfen ein Wolkenbruch wird, stimmt das Quartett Michael Jacksons „Billie Jean“ an – in einer Version, die zugleich Funkrock wie wildester Free Jazz ist. Das Donnergrollen gibt dazu den Rhythmus. Am Ende beklatschen sich Musiker und Zuschauer gegenseitig – sie haben es beide verdient.
Der Text ist am 3. Juli im Oranienburger Generalanzeiger erschienen.